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14. 04. 2011

HOMBURGER-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"

BERLIN. Die Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Birgit HOMBURGER gab der "Stuttgarter Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Armin Käfer und Thomas Maron:

Frage: Frau Homburger, Sie müssen sich im Land einer Kampfkandidatur stellen, wie sehr hat das Wahlergebnis in Baden-Württemberg ihre Autorität erschüttert?

HOMBURGER: Der Landesvorstand braucht nach dem enttäuschenden Abschneiden in Baden-Württemberg eine neue Legitimation, wenn wir kraftvoll in die Opposition starten wollen. Das ist die Frage, um die es jetzt geht. Die Entscheidung liegt bei der Partei. Ich bin bereit, in einer schwierigen Situation weiter Verantwortung zu übernehmen. Dass sich jetzt zwei Personen für den Landesvorsitz bewerben, ist in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit.

Frage: Auch auf Bundesebene fordert die Basis neues Personal...

HOMBURGER: Natürlich gibt es eine Diskussion über die gesamte Führungsspitze. Das ist doch normal in dieser Situation. Auf Bundesebene wird es deshalb weitere Veränderungen geben. Ich werde darauf verzichten, auf dem Bundesparteitag in Rostock für das Präsidium zu kandidieren. Ich will dem zweitgrößten Landesverband zusätzlich Gewicht verleihen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass Dirk Niebel für unseren Landesverband kandidiert.

Frage: Herr Niebel in allen Ehren, aber für Erneuerung steht er nicht gerade...

HOMBURGER: Dirk Niebel hat von allen Ministern in seiner Amtszeit am meisten verändert, indem er die Entwicklungszusammenarbeit völlig neu organisiert hat. Daran sind seine Amtsvorgänger in Jahrzehnten gescheitert. Deshalb steht er sehr wohl für Aufbruch und Tatendrang.

Frage: Sind Sie selbst nur noch eine Fraktionsvorsitzende auf Probe?

HOMBURGER: Die Fraktion wird im Herbst turnusgemäß ihren Vorstand neu wählen. Dann wird sie eine Entscheidung treffen. Ich werde mich deshalb nicht aus der Ruhe bringen lassen und weiter konzentriert und solide meine Arbeit machen. Bei den schwierigen Fragen, die wir derzeit lösen müssen, erwarten die Bürgerinnen und Bürger schnell konkrete Antworten und dafür ist eine handlungsfähige Koalition gefragt. Politik ist nicht nur auf Personen angewiesen, die sich nach außen gut darstellen können. Eine Partei braucht auch diejenigen, die bereit sind, die Knochenarbeit zu leisten und dafür sorgen, dass liberale Inhalte am Ende im Gesetzblatt stehen.

Frage: Erneuerung ist zwar das Wort der Saison bei der FDP. Im Kabinett und an der Fraktionsspitze bleibt aber alles beim Alten. Sieht so ein Neuanfang aus?

HOMBURGER: Man darf doch nicht so tun, als habe das Präsidium der Partei nichts zu melden. Es ist das Präsidium, das die Partei in die nächste Bundestagswahl führen wird und über einen Koalitionsvertrag verhandelt. Dieses Team wird sich in beachtlichem Umfang erneuern, auch wenn noch nicht alle Details feststehen. Es wird, wenn wir wieder Erfolg haben wollen, auf die Mischung ankommen. Erneuerung ist das eine. Stabilität und Solidität ist das andere. Deshalb wäre es falsch, alle Posten komplett neu zu besetzen.

Frage: Die FDP diskutiert auch wieder über Inhalte. An welchen Stellen sind Korrekturen notwendig?

HOMBURGER: Wir haben einen klaren Wertekompass, der in die richtige Richtung weist. Wir müssen Themen nicht neu erfinden, wir müssen sie nur konsequent an unserem Grundkompass ausrichten, der Freiheit. Freiheit und Verantwortung, Bürgerrechte und faire Bildungschancen, soziale Marktwirtschaft und ökologische Modernisierung. Unsere Themen werden wir deshalb nicht über Bord werfen, aber an der einen oder anderen Stelle müssen wir nachsteuern.

Frage: Wo denn zum Beispiel?

HOMBURGER: Das zentrale Thema ist die Energiepolitik. Nach dem Moratorium wird das Energiekonzept nicht mehr so aussehen können, wie wir das im letzten Jahr beschlossen haben. Wir können nach der Katastrophe in Japan nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir wollen das Zeitalter der Erneuerbaren Energien schneller erreichen. Ich plädiere für eine rationale Energiepolitik, mit klar nachvollziehbaren Kriterien. Wir müssen auch auf die Versorgungssicherheit, ebenso wie die Bezahlbarkeit achten, sonst gefährden wir Arbeitsplätze. Dabei werden wir die Umweltverträglichkeit nicht aus dem Blick verlieren. Diese riesige Herausforderung kann man nur auf der Basis von Daten und Fakten bewältigen. Klar ist: Wir dürfen nicht auf Strom aus unsichereren Kernkraftwerken im Ausland setzen. Wir werden den Netzausbau mit einem Planungsbeschleunigungsgesetz vorantreiben, um Erneuerbare Energien zum Verbraucher zu bringen. Die Grünen müssen endlich ihren Widerstand gegen die Modernisierung des Energiestandortes aufgeben. Wir laden die Opposition ein, Teil der Lösung zu sein, denn alle müssen sich bewegen. Wir brauchen einen neuen Energiegrundkonsens in Politik und Gesellschaft.

Frage: Sie werben für eine rationale Energiepolitik. War es irrational, dass ihr Generalsekretär sagte, die alten Meiler müssten endgültig abgeschaltet werden?

HOMBURGER: Nein, das war ein wichtiger Debattenbeitrag, den wir in die weiteren Überlegungen mit einbeziehen. Die Entscheidungen werden erst am Ende des Prozesses stehen.

Frage: Wie schafft man so eine Wende, ohne unglaubwürdig zu werden?

HOMBURGER: Exakt das treibt mich um. Das ist auch der Grund, weshalb mir rationale Kriterien und eine nachvollziehbare Argumentation so wichtig sind. Wir dürfen nicht aus dem Bauch raus das, was uns opportun erscheint, zum Maßstab unserer Politik machen, weil wir die Menschen sonst irritiert zurücklassen, statt sie mitzunehmen. Denn unser Glaubwürdigkeitsproblem hat zwei Ursachen. Erstens haben wir Erwartungen geweckt, die wir nicht alle erfüllen konnten. Zweitens haben wir einige unserer Positionen verändern müssen, ohne dass dies für unsere Wähler nachvollziehbar gewesen wäre. Das müssen wir ändern.

Frage: Energiepolitik ist nicht das einzige Thema. Es wird in der FDP sogar über Lohnuntergrenzen geredet...

HOMBURGER: Wir sind nach wie vor gegen einen flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn, weil er Arbeitsplätze gefährdet. Wir erleben aber, dass wir in vielen Branchen mittlerweile tariflich vereinbarte Mindestlöhne haben. Deshalb ist in der Partei von den Sozialpolitikern zu Recht eine Diskussion angestoßen worden. Es geht nicht um eine 180-Grad-Kehrtwende, sondern um eine Anpassung unserer Programmatik an die Realität.

Frage: Auch der Bildungsföderalismus steht zur Disposition...

HOMBURGER: Da müssen wir klären, wie weit wir gehen wollen. Es wird nicht funktionieren, dass der Bund am Ende jede Schule finanziert. Und es wäre schlecht, wenn Berlin in jede Schule reinregiert. Dass der Bund allerdings jetzt das Bildungspaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien über seltsame Umwege finanzieren muss, produziert ein unnötiges und schwer zu durchschauendes Regelgestrüpp. Deshalb müssen wir über die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern an dieser Stelle noch einmal reden. Das Hauptproblem ist damit aber immer noch nicht gelöst. Ländergrenzen dürfen keine Bildungsschranken sein.

Frage: Glauben Sie, dass jene, die Ihnen die Stimme in Baden-Württemberg versagt haben, auf sozialliberale Korrekturen hoffen?

HOMBURGER: Nein. Wir stehen für einen ganzheitlichen Liberalismus und werden uns nicht in Wirtschaftsliberale und Bürgerrechtsliberale aufteilen lassen. Wir bleiben in der Mitte. Links von der Mitte ist kein Platz für eine weitere sozialdemokratische Partei. Davon haben wir schon genug.

Frage: Der künftige Parteichef hat die Forderung nach umfassenden Steuersenkungen fürs Erste abgeräumt. War es das jetzt?

HOMBURGER: Es ist nach wie vor unser Ziel, die Mitte der Gesellschaft zu entlasten. Wir werden uns da nicht weg ducken, allein schon deshalb, weil das Problem der kalten Progression viele Menschen schon im nächsten Jahr umtreiben wird. Denn viele Facharbeiter, die sich über eine Lohnerhöhung freuen, werden feststellen, dass sie so gut wie nichts davon behalten können. Das wollen wir nach wie vor ändern.

Frage: Über was für ein Volumen reden wir?

HOMBURGER: Das ist offen. Unser Ziel ist es nach wie vor, in dieser Legislaturperiode eine Entlastung für die Mitte hinzubekommen. Aber Priorität hat die Haushaltssanierung. Da sind wir uns alle einig.

Download der gesamten Pressemitteilung im PDF-Format:
355-HomburgerInterview-StuttgarterZeitung.pdf (2011-04-14, 209.63 KB)


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